Einführung in Theorie und Praxis - Maria Montessori
Diese verständlich geschriebene Einführung bietet »Einsteigern« eine zuverlässige Orientierungshilfe. Die Autoren führen anschaulich
und pointiert in die theoretischen Grundlagen ein, stellen das Menschenbild Maria Montessoris, ihre lern- und
entwicklungspsychologischen Entdeckungen sowie Überzeugungen kenntnisreich dar. Ein Schwerpunkt liegt auf der umfassenden Darstellung der Montessori-Praxi
Das freie Spiel - Emmi Piklers und Maria Montessoris
Dieses Buch beinhaltet eine wissenschaftliche Auseinandersetzung der Reformpädagogik Emmi Piklers und Maria Montessoris im Bereich des freien Spiels. Ziel der Untersuchung ist es, die von Emmi Pikler und Maria Montessori entwickelten Richtlinien…
Wikipedia:
Emmi Pikler wurde in ihren pädagogischen Überzeugungen bestärkt, als sie 1935 in Budapest durch Elfriede Hengstenberg die Arbeitsweise Elsa Gindlers und Heinrich Jacobyskennenlernte. Elfriede Hengstenberg hatte 1931 aufgrund der Erkenntnisse Gindlers und Jacobys darauf hingewiesen, wie notwendig es sei, die naturgegebenen Gesetzmäßigkeiten der kindlichen Entwicklung zu erforschen, um dem Kind seine ursprünglichen Fähigkeiten und Kräfte zu erhalten. Gindler und Jacoby hatten in den 1920er Jahren erkannt, in welchem Ausmaß die übliche Säuglings- und Kleinkindererziehung die Initiative der Kinder behindert, ihre Ausdrucksfähigkeit verkümmern lässt und unselbständige, ungeschickte, bewegungs- und haltungsgeschädigte Menschen aus ihnen macht. Auch unser weitgehend gestörtes Verhältnis zum Arbeiten und Lernen war für sie eine Folge der fehlenden Kenntnis der Natur des Menschen. Die Ergebnisse der praktischen und wissenschaftlichen Arbeit Emmi Piklers haben wiederum die Vorstellung Gindlers und Jacobys von der Möglichkeit einer ungestörten Entfaltung des Kindes bestätigt.
Lasst mir Zeit - Emmi Pikler
Friedliche Babys - Emmi Pikler
Zufriedene Mütter - Emmi Pikler
Miteinander Vertraut werden - Emmi Pikler
Dein Baby zeigt dir den Weg - Magda Gerber
Ein guter Start ins Leben - Magda Gerber
Warum Babys weinen - Aletha J. Solter
Wüten, toben, traurig sein - Aletha J. Solter
Auch kleine Kinder haben großen Kummer - Aletha J. Solter
Mein Baby entdeckt sich und die Welt - Monika Aly
Entfaltungen - Elfriede Hengstenberg
Das Geheimnis der ersten neun Monate - Gerald Hüther und Inge Krens
Vorsicht Bildschirm - Manfred Spitzer
Das Beta-Kind - Michael Millner
Eindruck braucht Ausdruck
Andrea Siegrist
„Ist doch nicht so schlimm!“, „Sei doch nicht so eine Heulsuse!“, „Wenn du nicht sofort aufhörst, gebe ich dir einen Grund zu weinen!“ Manche Eltern ertappen sich bei den gleichen Redensarten, die ihre Eltern gebrauchten, wenn sie als Kind weinten.
Emotionale Probleme, Verhaltensauffälligkeiten oder stressbedingte Krankheiten werden nicht durch den Stress selbst verursacht, sondern durch die Unterdrückung des natürlichen Heilungsmechanismus. Vor allem das Weinen und Wüten – jene Verhaltensweisen, die den Erwachsenen am meisten Probleme machen – dienen dem Zweck, das körperliche und psychologische Gleichgewicht nach belastenden Ereignissen wiederherzustellen. Alice Miller schreibt über emotionale Störungen wie Neurosen: „Nicht das Trauma selbst ist die Quelle der Krankheit, sondern die unbewusste, unterdrückte, hoffnungslose Verzweiflung darüber, nicht ausdrücken zu dürfen, was man gelitten hat.“
Kinder heilen sich selbst durch Weinen und Wüten von Angst einflößenden oder frustrierenden Erfahrungen, die sie kurz zuvor gemacht haben. Ein Kind, das sich (in den sicheren Armen seiner Mutter) über einen bellenden Hund ausgeweint hat, wird anderen Hunden vielleicht mit Vorsicht begegnen, aber es wird beim Anblick eines Hundes nicht mehr sofort in Panik geraten. Ein Mann, der in der Therapie über seine alkoholkranke Mutter weinen und seinen Zorn über sie ausdrücken kann, reagiert vielleicht immer noch gereizt, wenn seine Frau zu spät kommt, aber er wird keinen Wutanfall mehr bekommen. Es ist erwiesen, dass Menschen, die in ihrer Kindheit schon bald nach traumatischen Erfahrungen über das Erlebte weinen können, emotional gesünder sind und weniger Probleme in ihren Beziehungen haben.
Alle Kinder erleben Stress, ganz gleich wie liebevoll ihre Eltern mit ihnen umgehen. Stress ist alles, was den Körper aus seinem natürlichen Gleichgewicht bringt. Es kann nicht jeder Stress vermieden werden. Es ist nicht unsere Aufgabe unsere Kinder unbedingt und in jedem Fall davor zu bewahren, sondern ihnen zu helfen, mit den daraus resultierenden Gefühlen fertig zu werden.
Weinen und Wüten sind äußerst effektive Methoden, Spannung abzubauen und Blutdruck und Pulsfrequenz zu senken. Eine tiefe Entspannung folgt. Das aufmerksame Zuhören der Bezugsperson bei Tränenausbrüchen und Wutanfällen fördert die Beziehung zum Kind, unterstützt die physische und psychische Gesundheit, verbessert die Konzentration und Lernfähigkeit und trägt entscheidend zur Verhütung von Disziplinproblemen, Hyperaktivität und schädlichen Verhaltensweisen (Gewalt) gegenüber anderen bei. Ein weiterer positiver Effekt dieser Haltung ist, dass sie bei Schlafproblemen helfen kann.
Analysen haben ergeben, dass sich in den Tränen ACTH (adrenocorticotropes Hormon) und andere mit Stress zusammenhängende Substanzen befinden, die durch das Weinen ausgeschieden werden und somit den Glukokortikoidspiegel senken. Weinen dient also wie Urinieren, Defäkieren, Ausatmen, Menstruieren und Schwitzen dazu, Abfallprodukte aus dem Körper auszuscheiden.
Wenn der Schmerz des Kindes heruntergespielt oder verharmlost wird, wenn das Kind abgelenkt, bestraft oder zum Lachen gebracht wird, vermittelt ihm das das Gefühl, nicht verstanden zu werden. Werden Kinder nur dann geliebt und bestätigt, wenn sie lächeln und glücklich sind, lernen sie einen Teil ihres Selbst zu verleugnen und zu unterdrücken, um den Erwachsenen zu gefallen. Schließlich gewinnen sie den Eindruck, dass ihre innersten Gefühle nicht akzeptabel seien, nicht einmal für sie selbst. Deshalb können Kinder kein stabiles Selbstwertgefühl entwickeln, wenn ihre Gefühle und deren emotionaler Ausdruck nicht voll anerkannt werden.
Wenn Erwachsene nachgeben, nachdem ein Kind lange gejammert und gebettelt hat, hindern sie es daran, sich einmal richtig auszuweinen und von seinem Stress zu befreien. Die Folge des Nachgebens ist meistens, dass das Kind immer fordernder wird, weil es nie Gelegenheit hatte, seine aufgestauten Gefühle durch Weinen und Wüten abzubauen. Dieses Kind wird schon bald neue Gründe finden, um zu weinen und zu betteln, und das wird immer so weitergehen, bis ihm erlaubt wird, ungehindert zu weinen. Das ist der Grundmechanismus, der bewirkt, dass Nachgiebigkeit Kinder ständig fordern und aufsässig werden lässt. Wirkliche Bedürfnisse sollten erfüllt werden, aber wenn die Forderungen eines Kindes unvernünftig werden oder es auf etwas beharrt, von dem es weiß, dass es auch sonst nicht erlaubt ist, hat es vermutlich das Bedürfnis sich von aufgestauten Gefühlen zu entlasten. Quengeln ist meistens ein Zeichen dafür, dass das Bedürfnis zu weinen nicht erfüllt wurde. Es ist der – nicht erfolgreiche – Versuch zu weinen. Manche Eltern finden das Quengeln irritierender als ein ungehemmtes Weinen, vor allem, wenn es den ganzen Tag anhält.
Ausgiebiges Weinen oder ein Wutanfall sind als solche nicht angenehm. Tatsächlich kann es ziemlich schwierig und emotional anstrengend sein, einen solchen Ausbruch mit einem Kind zusammen durchzustehen. Doch ein Kind, das intensiv geweint hat oder einen Wutanfall hatte, ist anschließend meist glücklich, entspannt, kooperativ, anspruchslos, friedlich und selbstgenügsam. Die Verwandlung ist manchmal erstaunlich: Aus einem fordernden, weinerlichen, gelangweilten, launischen, klammernden, aufsässigen oder aggressiven Kind wird plötzlich ein unbeschwertes Kind, mit dem das Zusammensein eine wahre Freude ist.
Wenn Kinder weinen oder wüten, werden bei den Erwachsenen oft eigene starke Gefühle ausgelöst. Manche Erwachsenen empfinden tiefe Sorge, Mitgefühl oder Kummer, andere fühlen sich ohnmächtig, schuldig oder inkompetent oder verspüren gewalttätige Impulse. Diese starken Emotionen haben ihren Ursprung oft in der Kindheit. Die Unterdrückung des Weinens und Wütens wird von Generation zu Generation weitergegeben. Das bedeutet, die meisten Menschen tragen viele eigene unbewältigte belastende und traumatische Erfahrungen mit sich herum. Wenn sie ein Kind weinen hören, kann das die unbewusste Erinnerung an ihren eigenen Kindheitsschmerz auslösen. Außerdem kann die unbewusste Erinnerung an die Reaktion der eigenen Eltern auf unser Weinen als Kind wach werden. Wir neigen dazu, ebenso unangemessen zu reagieren, wie wir es selbst erlebt haben. Es erfordert eine bewusste Anstrengung, es anders zu machen. Schämen Sie sich nicht darüber, wenn Sie gelegentlich Ärger oder Groll Ihrem Kind gegenüber verspüren oder den Drang, ihm etwas anzutun, aber versuchen sie alles, dem nicht nachzugeben.
Das Leben wird viel leichter, wenn die Eltern weinender und wütender Kinder erkennen, dass es kein augenblickliches Problem gibt und sie nichts anderes tun müssen, als bei ihrem Kind zu sein und seine Gefühle ernst zu nehmen. „Du bist ganz traurig, weil die schöne Muschel zerbrochen ist.“, „Du bist wütend, weil ich dir nicht erlaubt habe diesen Film anzuschauen.“, „Du hast Angst, wenn es dunkel ist.“, „Das tut wirklich weh, nicht wahr?“ Mit solchen und ähnlichen Aussagen fühlen sich Kinder wahrgenommen und verstanden.
Das Bedürfnis zu weinen baut sich allmählich auf, bis der Drang nach Entlastung so stark ist, dass fast alles Tränen auslösen kann. Der Ausbruch scheint dann durch die augenblickliche Situation oft völlig ungerechtfertigt. Manche Eltern glauben, Kinder wollten sie mit Weinen oder Wutanfällen manipulieren und sie glauben, sie hätten nur zwei Möglichkeiten: entweder nachzugeben und dem Kind alles zu erlauben, oder sie dazu zu bringen mit dem inakzeptablen Weinen und Wüten aufzuhören. Wenn Erwachsene verstehen, dass das Weinen ein echtes Bedürfnis ist, können sie den Ausbruch als notwendige Entlastung von aufgestauten Gefühlen akzeptieren. Wenn Kinder eine traumatische Erfahrung gemacht haben, suchen sie manchmal irgendwelche Auslöser oder Vorwände, um heftig weinen zu können, zum Beispiel kann ein Kind noch Wochen nach einem Krankenhausaufenthalt ungewöhnlich heftig über Kratzer und kleinere Verletzungen weinen. Es ist wichtig, dass Kinder niemals das Gefühl bekommen, für ihr Weinen oder Wüten bestraft zu werden.
Wenn Kinder ihre Eltern, Geschwister, Mitschüler oder sich selbst schlagen, versuchen sie sich von heftigen Emotionen zu befreien. Kinder, die Gewalt ausüben, leiden immer an schmerzlichen Gefühlen. Es ist wichtig zu wissen, dass Kinder unsere Liebe und Aufmerksamkeit am meisten dann brauchen, wenn sie es durch ihr Verhalten scheinbar am wenigsten verdienen. Liebevolles Halten ist empfehlenswerter als Isolation oder Entzug von Aufmerksamkeit (zum Beispiel aufs Zimmer schicken), denn Kinder erleben dies als Form von Strafe. Sie fühlen sich zwangsläufig, als hätten sie etwas falsch gemacht, als wären sie „schlecht“, wenn sie weinen oder wüten. Dieser Entzug von Liebe und Aufmerksamkeit zu einer Zeit, wo sie genau das am meisten bräuchten, schwächt ihre Selbstachtung, denn ein Teil von ihnen – das Bedürfnis, sich von starken Emotionen zu entlasten – wird abgelehnt. Kinder brauchen bedingungslose Akzeptanz und nicht irgendeine Aufmerksamkeit, die davon abhängt, wie sie sich gerade fühlen.
(Aus dem Buch: Auch kleine Kinder haben großen Kummer. Über Tränen, Wut und andere starke Gefühle. Aletha J. Solter. Kösel, München 2011, 7. Auflage)
DIE PINGUIN-GESCHICHTE ODER: WIE MAN SICH IN SEINEM ELEMENT FÜHLT
Diese Geschichte ist mir tatsächlich passiert. Ich war als Moderator auf einem Kreuzfahrtschiff engagiert. Da denkt jeder: „Mensch toll! Luxus!” Das dachte ich auch. Bis ich auf dem Schiff war. Was das Publikum angeht, war ich auf dem falschen Dampfer. Die Gäste an Bord hatten sicher einen Sinn für Humor, ich hab ihn nur in den zwei Wochen nicht gefunden. Und noch schlimmer: Seekrankheit hat keinen Respekt vor der Approbation. Kurzum: ich war auf der Kreuzfahrt kreuzunglücklich.
Endlich! Nach drei Tagen auf See, fester Boden. „Das ist wahrer Luxus!” Ich ging in einen norwegischen Zoo. Und dort sah ich einen Pinguin auf seinem Felsen stehen. Ich hatte Mitleid: „Musst du auch Smoking tragen? Wo ist eigentlich deine Taille? Und vor allem: hat Gott bei dir die Knie vergessen?” Mein Urteil stand fest: Fehlkonstruktion.
Dann sah ich noch einmal durch eine Glasscheibe in das Schwimmbecken der Pinguine. Und da sprang „mein“ Pinguin ins Wasser, schwamm dicht vor mein Gesicht. Wer je Pinguine unter Wasser gesehen hat, dem fällt nix mehr ein. Er war in seinem Element! Ein Pinguin ist zehnmal windschnittiger als ein Porsche! Mit einem Liter Sprit käme der umgerechnet über 2500 km weit! Sie sind hervorragende Schwimmer, Jäger, Wasser-Tänzer! Und ich dachte: „Fehlkonstruktion!” Diese Begegnung hat mich zwei Dinge gelehrt. Erstens: wie schnell ich oft urteile, und wie ich damit komplett daneben liegen kann. Und zweitens: wie wichtig das Umfeld ist, ob das, was man gut kann, überhaupt zum Tragen kommt.
Wir alle haben unsere Stärken, haben unsere Schwächen. Viele strengen sich ewig an, Macken auszubügeln. Verbessert man seine Schwächen, wird man maximal mittelmäßig. Stärkt man seine Stärken, wird man einzigartig. Und wer nicht so ist, wie die anderen sei getrost: Andere gibt es schon genug! Immer wieder werde ich gefragt, warum ich das Krankenhaus gegen die Bühne getauscht habe. Meine Stärke und meine Macke ist die Kreativität. Das heißt, nicht alles nach Plan zu machen, zu improvisieren, Dinge immer wieder unerwartet neu zusammen zu fügen. Das ist im Krankenhaus ungünstig. Und ich liebe es, frei zu formulieren, zu dichten, mit Sprache zu spielen. Das ist bei Arztbriefen und Rezepten auch ungünstig. Auf der Bühne nutze ich viel mehr von dem was ich bin, weiß, kann und zu geben habe. Ich habe mehr Spaß, und andere haben mit mir mehr Spaß. Live bin ich in meinem Element, in Flow!
Menschen ändern sich nur selten komplett und grundsätzlich. Wenn du als Pinguin geboren wurdest, machen auch sieben Jahre Psychotherapie aus dir keine Giraffe. Also nicht lange hadern: Bleib als Pinguin nicht in der Steppe. Mach kleine Schritte und finde dein Wasser. Und dann: Spring! Und Schwimm! Und du wirst wissen, wie es ist, in Deinem Element zu sein
Aus: http://www.hirschhausen.com/glueck/die-pinguingeschichte.php
Auch kleine Kinder haben großen Kummer. Über Tränen, Wut und andere starke Gefühle.
Aletha J. Solter. Kösel, München 2011, 7. Auflage
Zusammengefasst von Andrea Siegrist
TEIL I: Einige Informationen über Tränen und Wutausbrüche
Die Autorin beschäftigt sich seit 25 Jahren mit dem Thema „Tränen und Wutausbrüche“,
jenen Verhaltensweisen, die Eltern am meisten Schwierigkeiten bereiten. Sollen sie beruhigen,
ignorieren, ablenken, bestrafen, dem Kind „nachgeben“ oder mitfühlend zuhören?
Entgegen jahrhundertealten Ratschlägen, Kinder einfach alleine weinen zu lassen, was
ihnen Schaden zufügte, gibt es nun die Empfehlung für Eltern, auf jeden Schrei mit liebevoller
Zuwendung zu reagieren und das Baby durch Stillen und Wiegen zur Ruhe zu bringen.
Dieser Ansatz, so liebevoll er scheinen mag, übersieht aber die wichtige Funktion des
Weinens. Außerdem belastet er die Eltern über Gebühr, weil sie glauben, es sei ihre Aufgabe
Babys und Kinder am Weinen zu hindern.
Nicht jedes Weinen ist ein Zeichen für ein unbefriedigtes Bedürfnis. Oft stellt das Weinen
einen natürlichen Entspannungsprozess dar, mit dem Kinder sich selbst von Angst einflößenden
oder frustrierenden Erfahrungen heilen, die sie kurz zuvor gemacht haben. Kinder
benutzen Tränen und Wutanfälle um Traumen zu bewältigen und Spannungen abzubauen.
Schreien und Wüten soll deshalb nicht unterbunden werden, denn diese Verhaltensweisen
gehören von Geburt an zu den kindlichen Grundbedürfnissen und es ist wichtig, dass wir
ihre heilsame Wirkung verstehen. Wir helfen Kindern damit nicht nur, Traumen zu bewältigen
und Stress abzubauen, sondern tragen auch entscheidend zur Verhütung von Disziplinproblemen,
Hyperaktivität und schädlichen Verhaltensweisen (Gewalt) gegenüber anderen
bei. Außerdem unterstützt Weinen die physische und psychische Gesundheit und
verbessert die Konzentration und Lernfähigkeit. Ein weiterer positiver Effekt dieser Haltung
ist, dass sie bei Schlafproblemen helfen kann (ohne das Kind zu ignorieren). Und nicht zuletzt
fördert das Zuhören bei Tr.nenausbrüchen und Wutanfällen die Eltern-Kind-Beziehung.
Alle Kinder erleben Stress, ganz gleich wie liebevoll ihre Eltern mit ihnen umgehen. Stress
ist alles, was den Körper aus seinem natürlichen Gleichgewicht bringt. Es gibt physische
und psychische Stress-Auslöser. Wir sollten alles tun, den Stress im Leben unserer Kinder
zu verringern, aber wir müssen uns auch im Klaren sein, dass nicht jeder Stress vermieden
werden kann. Wir können unsere Kinder nicht vom Leben fern halten und Lernen und
Heranwachsen beinhalten immer auch ein gewisses Maß an Schmerz, Schwierigkeiten
und Frustrationen. Es ist nicht unsere Aufgabe unsere Kinder unbedingt und in jedem Fall
davor zu bewahren, sondern ihnen zu helfen, mit den daraus resultierenden Gefühlen fertig
zu werden. Glücklicherweise können Kinder Stress mittels Reden, symbolischem Spielen,
Lachen – und Weinen (Wutausbrüche eingeschlossen) gut bewältigen. Zusätzlich helfen
auch noch Gähnen, Zittern und Schwitzen.
Laut Untersuchungen ist Weinen ein körperlicher Erregungszustand, auf den eine tiefe
Entspannung folgt. Weinen ist eine äußerst effektive Methode, Spannung abzubauen und
Blutdruck und Pulsfrequenz zu senken. Vermutlich hilft die beim Weinen freigesetzte Energie,
etwas von der Kraft zu verbrauchen, die für unsere körperliche Verteidigung in Gefahrensituationen
vorgesehen ist, wo Weglaufen und Kämpfen aber unangemessen sind.
Die Formulierung „dieser Film hat mich sehr bewegt“ gibt wieder, dass unsere ungehemmte,
primitive Reaktion auf starke Gefühle darin besteht, körperlich aktiv zu werden. Weinen
und Wüten sind in der Tat sehr aktive Prozesse, die den ganzen Körper einbeziehen. Kinder
treten mit den Fü.en, schlagen mit den Armen um sich und wenden dabei viel Körperkraft
auf.
Analysen haben ergeben, dass sich in den Tränen ACTH (adrenocorticotropes Hormon)
und andere mit Stress zusammenhängende Substanzen befinden, die durch das Weinen
ausgeschieden werden und somit den Glukokortikoidspiegel senken. Weinen dient also
wie Urinieren, Defäkieren, Ausatmen, Menstruieren und Schwitzen dazu, Abfallprodukte
aus dem Körper auszuscheiden und ist damit physiologisch genauso für unsere Gesundheit
wichtig. In zahlreichen Untersuchungen hat man einen Zusammenhang zwischen
Weinen und körperlicher Gesundheit festgestellt. Menschen, die häufiger weinen, eine positive
Einstellung zum Weinen haben, ihren Gefühlen von Zorn, Angst, Depression, Schuld
ungehemmt Ausdruck verleihen, leben länger und freier von Symptomen und Krankheiten,
als jene, die ihre schmerzlichen Gefühle leugnen oder unterdrücken. Es ist zum Beispiel
dokumentiert, dass asthmatische Symptome nachließen und Hautausschläge verschwanden,
sobald Patienten anfingen zu weinen. Weinen ist aber kein Allheilmittel und kann eine
angemessene medizinische Behandlung nicht ersetzen, sondern nur unterstützen.
Die psychischen Vorzüge des Weinens
1. Weinen stärkt die emotionale Gesundheit
2. Die Akzeptanz des Weinens begünstigt eine gesunde Eltern-Kind-Bindung
3. Die Akzeptanz des Weinens stärkt das Selbstwertgefühl des Kindes
4. Kinder, die genug weinen, sind einfacher im Umgang
5. Kinder, die weinen, wenn es notwendig ist, lernen besser
1. Weinen ist also ein natürlicher Prozess, der den Körper wieder ins Gleichgewicht bringt.
Alice Miller schreibt über emotionale Störungen wie Neurosen: „Nicht das Trauma selbst
ist die Quelle der Krankheit, sondern die unbewusste, unterdrückte, hoffnungslose Verzweiflung
darüber, nicht ausdrücken zu dürfen, was man gelitten hat.“ Manchmal reagieren
Erwachsene unangemessen auf bestimmte Situationen, weil sie die Gegenwart nicht von
der Vergangenheit trennen können (zum Beispiel ein Mann wird beim häufigen Zuspätkommen
seiner Frau übertrieben zornig, weil sie ihn an seine alkoholkranke Mutter erinnert,
die in betrunkenem Zustand unzuverlässig war). Psychologen nennen dieses Phänomen
die „Generalisierung einer konditionierten emotionalen Reaktion“: Alles, was eine
Person an eine frühere Stresssituation erinnert, löst eine Stressreaktion aus, selbst wenn
die neue Situation vollkommen harmlos ist. Die Löschung dieser konditionierten Reaktion
kann durch Weinen und Wüten beträchtlich beschleunigt werden. Haben Kinder Gelegenheit,
nach Angst einflößenden oder frustrierenden Erfahrungen zu weinen oder zu wüten,
wird die Stressreaktion später nicht mehr automatisch durch vergleichbare Situationen
ausgelöst. Der physiologische Prozess des Weinens in einem sicheren Umfeld scheint
dem Gehirn zu vermitteln, dass die Bedrohung überwunden wurde. Weinen trägt dazu bei,
die Konditionierung der Stressreaktion zu löschen. Ein Kind, das sich (in den sicheren Armen
seiner Mutter) über einen bellenden Hund ausgeweint hat, wird anderen Hunden vielleicht
mit Vorsicht begegnen, aber es wird beim Anblick eines Hundes nicht mehr sofort in
Panik geraten. Ein Mann, der in der Therapie über seine alkoholkranke Mutter weinen und
seinen Zorn über sie ausdrücken kann, reagiert vielleicht immer noch gereizt, wenn seine
Frau zu spät kommt, aber er wird keinen Wutanfall mehr bekommen. Es ist erwiesen, dass
Menschen, die in ihrer Kindheit schon bald nach traumatischen Erfahrungen über das Erlebte
weinen können, emotional gesünder sind und weniger Probleme in ihren Beziehungen
haben.
2. Forscher weisen daraufhin, dass Kinder schmerzliche Gefühle verdrängen, wenn ihnen
das Weinen verboten wird. Reagieren Eltern während des ersten Lebensjahres nicht auf
das Weinen ihres Babys, kann das Kind ein gestörtes Bindungsverhalten entwickeln. Vielleicht
wird es aggressiv gegenüber den Eltern oder überm..ig fordernd und klammernd.
Einige Kinder scheinen selbstgenügsam, verweigern Nähe oder zeigen kaum Zuneigung.
Selbst wenn Eltern ein weinendes Kind nicht offen zurückweisen, empfindet das Kind jeden
Versuch, es vom Weinen abzulenken, als emotionales Verlassenwerden. Kinder brauchen
Eltern, die zuhören, wenn sie ihrer Trauer, Wut und Angst Ausdruck verleihen. Wird
Kindern erlaubt, derartige Gefühle von Geburt an offen auszuleben, machen sie die Erfahrung,
dass sie schmerzliche Gefühle nicht unterdrücken müssen und bedingungslos geliebt
werden. Werden die schmerzlichen Gefühle eines Kindes voll akzeptiert, kann es also
ein gesünderes Bindungsverhalten entwickeln. Babys, die in den Armen ihrer Eltern weinen
dürfen, wachsen mit dem Gefühl auf, verstanden und angenommen zu werden. Symptome
wie exzessives Klammern, Quengeln, Aggressivität oder Abneigung gegen Nähe,
die auf ein instabiles Bindungsverhalten verweisen, verschwinden oft, wenn Eltern in der
Lage sind, zu Hause eine Atmosphäre von emotionaler Sicherheit zu schaffen und das
Weinen des Kindes zu akzeptieren.
3. Werden Kinder nur dann geliebt und bestätigt, wenn sie lächeln und glücklich sind, lernen
sie einen Teil ihres Selbst zu verleugnen und zu unterdrücken, um den Erwachsenen
zu gefallen. Schließlich gewinnen sie den Eindruck, dass ihre innersten Gefühle nicht akzeptabel
seien, nicht einmal für sie selbst. Deshalb können Kinder kein stabiles Selbstwertgefühl
entwickeln, wenn ihre Gefühle und deren emotionaler Ausdruck nicht voll anerkannt
werden.
4. Ausgiebiges Weinen oder ein Wutanfall sind als solche nicht angenehm. Tatsächlich
kann es ziemlich schwierig und emotional anstrengend sein, einen solchen Ausbruch mit
einem Kind zusammen durchzustehen. Doch ein Kind, das intensiv geweint hat oder einen
Wutanfall hatte, ist anschließend meist glücklich, entspannt, kooperativ, anspruchslos,
friedlich und selbstgenügsam. Die Verwandlung ist manchmal erstaunlich: Aus einem fordernden,
weinerlichen, gelangweilten, launischen, klammernden, aufsässigen oder aggressiven
Kind wird plötzlich ein unbeschwertes Kind, mit dem das Zusammensein eine
wahre Freude ist. Babys, die in den Armen ihrer Eltern weinen, wenn sie es brauchen, sind
weniger fordernd und schlafen nachts besser. Das verschafft den Eltern die selbst benötigte
Ruhe.
5. Alle Kinder werden mit einem enormen intellektuellen Potential geboren. Leider wird
dieses Potential bei vielen Kindern teilweise dadurch beeinträchtigt, dass sie Schmerz,
Verwirrung, Frustration oder Angst erleben und diese Gefühle nicht durch die Heilungsmechanismen
Weinen und Wüten verarbeiten und abbauen können. Diese Gefährdung der
Intelligenz beruht zum Teil darauf, dass das Kind von schmerzlichen Gefühlen in Anspruch
genommen ist, was seine Fähigkeit, sich zu konzentrieren und zu lernen, beeinträchtigt.
Kinder, deren Bedürfnis nach dem Ausdruck ihrer Gefühle erkannt und akzeptiert wird, lernen
mit mehr Begeisterung und Erfolg. Wird Kindern nicht erlaubt über Frustrationen zu
weinen, die direkt mit Lernsituationen verbunden sind, können diese Frustrationen ihr weiteres
Lernverhalten beeinträchtigen. Kinder, denen man erlaubt über Frustrationen zu
weinen und zu wüten, wann immer diese in der Kindheit auftreten, so dass die Stressreaktion
unmittelbar danach vollständig abgeschlossen ist, begegnen neuen Lernerfahrungen
aufgeschlossener und ohne darauf emotional unangemessen zu reagieren.
In der Kindertherapie wird Weinen als ein wichtiger Teil des Heilungsprozesses betrachtet.
Dazu braucht ein Kind das Vertrauen, dass es für sein Weinen nicht getadelt wird.
Bei der Birth-Simulating-Massage, bei der mit Hilfe von Berührung und Druck auf den Körper
des Babys gleiche Gefühle wie bei der Geburt ausgelöst werden, weinen Säuglinge
heilsame Tränen und überwinden so das Trauma ihrer Geburt.
Bei der Festhaltetherapie wehren sich Kinder zunächst gegen diese Nähe und durchlaufen
im typischen Falle eine Phase, in der sie heftig weinen, wüten und kämpfen, um sich zu
befreien. Allmählich akzeptieren sie dann das Gehaltenwerden, entspannen sich, kuscheln
sich manchmal sogar liebevoll in die Arme der Bezugsperson und wollen noch länger in
ihren Armen verweilen. Das Gehaltenwerden ermöglicht dem Kind anscheinend, sich sicher
genug zu fühlen, um die Ansammlung schmerzlicher Gefühle aus einer früheren
traumatischen Erfahrung oder einfach aus überm..igem Stress erneut zu durchleben und
sich davon zu entlasten. Je früher Kinder ein traumatisches Ereignis durch Weinen verarbeiten,
desto besser. Wenn Kinder eine traumatische Erfahrung gemacht haben, suchen
sie manchmal irgendwelche Auslöser oder Vorwände, um heftig weinen zu können, z. B.
kann ein Kind noch Wochen nach einem Krankenhausaufenthalt ungewöhnlich heftig über
Kratzer und kleinere Verletzungen weinen. Wenn Kinder sich sicher genug fühlen, können
sie sich von ihren traumatischen Erlebnissen heilen.
Die Festhaltetherapie hilft auch bei manchen Formen des Autismus, bei (schweren) Bindungsstörungen
und bei hyperaktiven Kindern in Zeiten, in denen ihr hektisches Verhalten
außer Kontrolle gerät. Ablenkbarkeit, Impulsivität und Hyperaktivität bei Kindern, können
durch ein Übermaß an Stress verursacht werden, zum Beispiel durch eine häusliche
Stresssituation. Hyperaktive Kinder neigen zu Wutanfällen, die als gesunder Versuch gelten
können, Stress abzubauen. Leider werden solche Wutanfälle oft als Teil des Problems
und nicht als wichtiger Heilungsmechanismus interpretiert. Da Weinen auch eine Veränderung
in der Hormonkonzentration und bei den Neurotransmittern bewirkt, könnte man Kindern
auch erlauben, ihr chemisches Gleichgewicht durch die natürlichen Prozesse von
Weinen und Wüten wiederherzustellen, bevor man zu Medikamenten greift.
Eltern erinnern sich an ihr kindliches Weinen – Wie das Weinen unterdrückt wird
S. 55: Weil Erwachsene oft nicht wissen, wie wichtig Weinen und Wüten sind, halten sie
ihre Kinder davon ab und unterdrücken diese Heilungsmechanismen. Nur wenige Erwachsene
durften als Kinder so viel weinen, wie sie es eigentlich gebraucht hätten. Eltern versuchen
oft das Weinen zu unterdrücken, weil es ihren eigenen verdrängten Stress und ihr
Bedürfnis zu weinen wieder ins Bewusstsein ruft. Diese Unterdrückung des Weinens wird
von Generation zu Generation weitergegeben. Manche Eltern ignorieren weinende Kinder,
weil sie fürchten, deren Verhalten zu „verstärken“, wenn sie ihm Beachtung schenken
würden. Manche Eltern versuchen ihre Kinder von ihren Gefühlen abzulenken, indem sie
ihnen etwas zeigen oder Spiele vorschlagen. Manchmal möchten Eltern die Kinder auch
zum Lachen bringen. Obwohl Lachen eine heilsame Wirkung haben kann, kann es das
Bedürfnis zu weinen nicht ersetzen. Weinenden Kindern sollte erlaubt sein, so lange zu
weinen, bis sie es nicht mehr brauchen. Der Versuch, Weinen in Lachen umzuwandeln, ist
respektlos, weil wir die Botschaft vermitteln, dass Weinen schlecht ist und außerdem die
Gefühle des Kindes herabspielen. Auch Nahrung kann eine Form von Ablenkung sein („Iss
etwas, dann geht es dir gleich besser!“). Manche Kinder werden auch von Erwachsenen
oder anderen Kindern für ihr Weinen verspottet („Sei doch nicht so eine Heulsuse!“) oder
ihr Schmerz wird heruntergespielt oder verharmlost („Ist doch nicht so schlimm.“, „Es gibt
überhaupt keinen Grund, warum du Angst haben müsstest.“, „Es lohnt sich doch gar nicht,
darüber zu weinen.“ etc.) Manche Eltern ertappen sich bei den gleichen Redensarten, die
ihre Eltern gebrauchten, wenn sie als Kind weinten („Wenn du nicht sofort aufhörst, gebe
ich dir einen Grund zu weinen!“).
Solche Reaktionen halten Kinder nicht nur vom Weinen ab, sondern vermitteln ihnen auch
das Gefühl, nicht verstanden zu werden und allein mit ihrem Schmerz zu sein, der für sie
sehr real vorhanden ist.
Der Biochemiker William Frey vermutet, die Tatsache, dass Männer weniger weinen als
Frauen, trage zu der höheren Rate stressbedingter Krankheiten (wie Herzinfarkte und
Schlaganfälle) bei Männern und zu der im Durchschnitt höheren Lebenserwartung von
Frauen bei. Da das Weinen bei den meisten Menschen schon sehr früh im Leben unterdrückt
wurde, haben sie gelernt, ihre Gefühle mit Hilfe bestimmter Verhaltensweisen zurückzuhalten,
die als „Kontrollmuster“ bezeichnet werden. Diese Gewohnheiten dienen
dem Zweck, sich selbst vor emotionalem Schmerz zu schützen und vom Weinen abzuhalten.
Kontrollmuster nehmen oft die Form von Süchten an (Tabak, Alkohol, Koffein, Drogen,
Psychofarmaka, …). Auch überm..iges Essen kann ein Kontrollmuster sein. Eine weitere
Methode, Gefühle zurückzuhalten, sind chronische Muskelverspannungen. Diese wiederum
können eine der Ursachen für Kopfschmerzen und zahlreiche weitere Beschwerden
sein. Manche Menschen halten ihre Gefühle durch Geschäftigkeit und Aktivität in Schach,
während sich andere mit Fernsehen ablenken. Kontrollmuster behindern den Ausdruck
starker Gefühle. Es ist aber absolut verständlich, dass wir Zuflucht zu solchen Unterdrückungsmechanismen
nehmen, denn auch unsere Eltern haben unsere heftigen Gefühle
nicht akzeptiert.
Teil II: Wenn Babys weinen
Babys weinen im Durchschnitt anderthalb bis zwei Stunden täglich – ohne ersichtlichen
Grund. Herkömmliche Erklärungsversuche – Bauchschmerzen bzw. Blähungen, Abwehrreaktionen
gegen bestimmte Nahrungsmittel und Zahnen – sind unzureichend und nicht
wissenschaftlich belegt. Die primäre Funktion des Weinens besteht darin, Bedürfnisse und
Unbehagen mitzuteilen – die Bezugsperson muss herausfinden was der Säugling braucht
und dieses Bedürfnis so schnell wie möglich erfüllen. Die zweite wichtige Funktion des
Weinens bei Babys ist die Stressminderung. Durch das Weinen können Babys Spannungen
abbauen, die auf körperlichen oder emotionalen Stress zurückzuführen sind.
Ursachen für Stress bei Babys
1. Traumen vor und während der Geburt (Probleme, Komplikationen)
2. Unbefriedigtes Bedürfnis nach Berührung und Gehaltenwerden
3. Reizüberflutung (Straßenlärm, Telefon, Fernseher, Staubsauger, …)
4. Entwicklungsbedingte Frustrationen (beim Erlernen neuer Fähigkeiten)
5. Körperlicher Schmerz (längeres Weinen oder dringenderer Unterton)
6. Beängstigende Erlebnisse
Weinende Babys sollte man niemals alleine lassen (früher warnte man Eltern, sie würden
ihr Kind „verwöhnen“), aber auch nicht durch Brust, Flasche, Schnuller, rhythmische Bewegungen,
beruhigende Töne oder anderes vom Weinen abhalten. Das bringt nur wenig,
denn wenn die Ablenkung vorbei ist, wird das Baby weiter weinen müssen. Wenn ich mich
meinem Baby, das Stress durch Weinen abbauen muss, aufmerksam zuwende und sein
Weinen akzeptiere, fühlt sich das Baby sicher und geliebt. Ich mache es mir bequem, halte
es dabei ruhig auf dem Arm (waagrecht!) und schaue ihm in die Augen. Meine innere Haltung:
„Es ist in Ordnung, wenn du weinst.“ Ich kann auch ansprechen, was ich vermute:
„Hattest du einen schweren Tag? Haben wir heute zu viel unternommen?“ Ich halte das
Baby solange, bis es zu weinen aufhört.
Babys, die vom Weinen abgehalten werden, lernen schließlich, ihr eigenes Weinen durch
Kontrollmuster zu unterdrücken. Die häufigsten Kontrollmuster sind am Daumen oder
Schnuller lutschen, Brust oder Fläschchen zu fordern, ohne hungrig zu sein, das Klammern
an ein bestimmtes Objekt, zum Beispiel Decke oder Teddy oder die ständige Forderung
nach Unterhaltung. Der angesammelte Stress wird dadurch aber nicht abgebaut.
Psychischer Schmerz oder Angst wird abgespaltet, aber nicht verarbeitet. Wenn die Erwachsenen
nicht imstande sind, starke Emotionen aufmerksam anzunehmen, fühlen sich
Babys nicht ganz gesehen oder gehört und entwickeln Ersatzbindungen. Diese verhindern
jedoch wirkliche Nähe und eine gesunde emotionale Entwicklung. Zu häufiges Saugen an
der Brust zum Beispiel kann der Anfang der chronischen Gewohnheit sein, immer dann zu
essen, wenn man ärgerlich, frustriert oder depressiv ist. Bereits in den ersten Wochen
kann so Essen zu einem Weg werden, die eigenen starken Gefühle zu unterdrücken. Auch
rhythmische Bewegungen sind als Beruhigungsmethode ungeeignet. Stimulation durch
Bewegung ist zwar wichtig fürs Baby, aber (wie bei sämtlichen Formen der Stimulation),
wenn das Baby glücklich, wach und bereit für diese Anregungen ist und nicht, wenn es
sich traurig, ängstlich oder frustriert fühlt. Babys, die Schnuller, Daumen oder andere „Sicherheitsobjekte“
verwenden, scheinen ganz zufrieden zu sein, sammeln aber ihre aufgestauten
Emotionen, die auf Stress beruhen, an.
Bei Schlafproblemen in der Nacht ist die Frage hilfreich: „Wie schläft Ihr Baby meistens
ein?“ Darauf wird fast immer irgendein Beruhigungsmechanismus genannt (meist stillen
oder wiegen). Die Lösung besteht darin, das Baby zur Schlafenszeit nicht mehr vom Weinen
abzuhalten. Wenn sich das Kind durch Schreien in den Armen eines Erwachsenen
entspannen kann, wird es schon bald nachts länger durchschlafen, ohne aufzuwachen.
Wenn Stillen zur Beruhigungsmethode geworden ist, sollte eine Mutter das Baby beim
Weinen nicht in der typischen Stillhaltung halten oder das Baby beim Vater oder einer anderen
Person weinen lassen. Manche Babys weinen viel besser bei ihren Vätern als bei
ihren Müttern, weil sie mit dem mütterlichen Körper verbinden, gestillt zu werden. Das bedeutet
aber nicht, dass diese Babys ihren Vater ablehnen oder ihre Mütter brauchen. Im
Gegenteil, es ist ein Zeichen, dass sie sich mit ihrem Vater so sicher und frei fühlen, dass
sie sich von ihren negativen Gefühlen entlasten können.
Teil III: Wenn Kinder weinen und wüten (1 – 8 Jahre)
Weinen hilft Menschen jeden Alters ihren Stress abzubauen. Wenn Kinder anfangen,
Wünsche mit Worten zu artikulieren, wird die Kommunikationsfunktion des Weinens allmählich
durch Sprache ersetzt. Die Stressbewältigungsfunktion des Weinens jedoch, wird
nicht von der Sprache abgelöst, sondern bleibt das ganze Leben lang von Bedeutung. Ist
die Sprache erst einmal voll entwickelt, dient jedes Weinen eher dem Stressabbau als der
Kommunikation.
Auch wenn Kinder älter sind, ist es wichtig, belastende Situationen – wenn möglich – abzustellen.
Es genügt nicht, ein Kind in meinen Armen weinen zu lassen, das immer wieder
von seinem älteren Geschwister geärgert wird. Wenn ich aber das Möglichste getan habe,
um den Auslöser für den Stress meines Kindes zu beseitigen, dann höre ich dem Weinen
in einer schmerzlichen Situation zu und akzeptiere es. Kinder brauchen unsere liebevolle
Präsenz und Zuwendung, wenn sie weinen, denn sie müssen wissen, dass sie geliebt
werden, ganz gleich, was sie fühlen. Sie dürfen ihre schmerzlichen Gefühle ausdrücken
ohne abgelehnt zu werden und sie müssen wissen, dass jemand sie versteht und Anteil
nimmt. Wenn zum Beispiel ein Kind über eine zerbrochene Muschel weint, sollten wir der
Versuchung widerstehen zu trösten: „Sei nicht traurig, wir gehen nochmals zum Strand
und finden eine neue“ sondern: „Du bist ganz traurig, weil die schöne Muschel kaputt ist.“
Das Bedürfnis zu weinen baut sich allmählich auf, bis der Drang nach Entlastung so stark
ist, dass fast alles Tränen auslösen kann. Der Ausbruch scheint dann durch die augenblickliche
Situation oft völlig ungerechtfertigt. Manche Eltern glauben, Kinder wollten sie
mit Weinen oder Wutanfällen manipulieren und sie glauben, sie hätten nur zwei Möglichkeiten:
entweder „nachzugeben“ und dem Kind alles zu erlauben, oder sie dazu zu bringen
mit dem inakzeptablen Weinen und Wüten aufzuhören. Wenn Erwachsene verstehen,
dass das Weinen ein echtes Bedürfnis ist, können sie den Ausbruch als notwendige Entlastung
von aufgestauten Gefühlen akzeptieren. Das Leben wird viel leichter, wenn die Eltern
weinender und wütender Kinder erkennen, dass es kein augenblickliches Problem
gibt und sie nichts anderes tun müssen, als bei ihrem Kind zu sein.
Wenn Erwachsene „nachgeben“, nachdem ein Kind lange gejammert und gebettelt hat,
hindern sie es daran, sich einmal richtig auszuweinen und von seinem Stress zu befreien.
Die Folge von nachsichtigem Verhalten ist meistens, dass das Kind immer fordernder wird
und das Zusammenleben mit ihm immer schwieriger wird. Und zwar nicht, weil man ihm
zu viel gegeben hätte, sondern weil es nie Gelegenheit hatte, seine aufgestauten Gefühle
durch Weinen und Wüten abzubauen. Dieses Kind wird schon bald neue Gründe finden,
um zu weinen und zu betteln, und das wird immer so weitergehen, bis ihm erlaubt wird,
ungehindert zu weinen. Das ist der Grundmechanismus, der bewirkt, dass Nachgiebigkeit
Kinder ständig fordern und aufsässig werden lässt.
Wirkliche Bedürfnisse sollten erfüllt werden, aber wenn die Forderungen eines Kindes unvernünftig
werden, hat es vermutlich das Bedürfnis sich von aufgestauten Gefühlen zu entlasten.
Wenn ein Kind wiederholt versucht mich zu „testen“, dann oft deshalb, weil es Vorwände
zum Weinen und Wüten sucht. Immer wenn Kinder auf Verhaltensweisen beharren,
die, wie sie wissen, nicht erlaubt sind, oder wiederholt Dinge fordern, die sie auch sonst
nie bekommen, ist es hilfreich, sich folgende Frage zu stellen: Sucht dieses Kind feste
Grenzen, damit es einen Vorwand hat, um zu weinen und auf diesem Wege seinen Stress
loszuwerden?
Ausbrüche meines Kindes können sich auch gegen mich richten, denn Kinder sind nicht in
der Lage zu sagen: „Mutti, ich hatte heute einen Streit mit meiner Freundin und sie hat zu
mir gesagt ,du bist blöd’. Das hat mich verletzt. Ist es in Ordnung, wenn ich darüber weine
und die Worte wiederhole, die sie benutzt hat?“ Statt dessen reagiert das Kind mir gegenüber
mit diesen Worten. Auch durch ein banales Missgeschick, wie zum Beispiel das Verschütten
eines Saftes, entladen sich Gefühle, die sich den ganzen Morgen in Schule, Kindergarten
oder Tagesstätte angesammelt haben. Am hilfreichsten ist es, das Weinen zu
erlauben, auch wenn das von Seiten der Erzieher oder Lehrer enorm viel Geduld erfordern
mag. Der Vorwand, den Kinder wählen, um zu weinen, hat meistens nichts mit dem wirklich
zugrunde liegenden Thema zu tun. Es ist wichtig, dass Kinder niemals das Gefühl bekommen,
für ihr Weinen oder Wüten bestraft zu werden.
Bei Verletzungen ist nachgewiesen, dass sich Menschen schneller von Schmerzen erholen,
wenn sie ihre Aufmerksamkeit darauf richten, statt zu versuchen, den Schmerz zu unterdrücken
oder sich mit anderen Gedanken abzulenken. Kinder wissen instinktiv, wie
wichtig es ist, Schmerz nicht zu verleugnen. Nach einer Verletzung sollten wir Kinder nicht
dazu bewegen zu reden, statt zu weinen. Schenken Sie Ihrem Kind Ihre ganze Aufmerksamkeit
und ermutigen Sie es zum Weinen. „Das tut wirklich weh, nicht wahr?“ oder: „Es
ist in Ordnung zu weinen.“
Quengeln ist meistens ein Zeichen dafür, dass das Bedürfnis zu weinen nicht erfüllt wurde.
Quengeln ist der – nicht erfolgreiche – Versuch zu weinen. Manche Eltern finden das
Quengeln irritierender als ein ungehemmtes Weinen, vor allem, wenn es den ganzen Tag
anhält.
Wenn Kinder ihre Eltern, Geschwister, Mitschüler oder sich selbst schlagen, versuchen sie
sich von heftigen Emotionen zu befreien. Wenn wir das Kind durch ein entschiedenes
„Nein!“ stoppen und es anschließend halten, kann das eine wirkungsvolle Methode sein,
Grenzen zu setzen und dem Kind einen Rahmen zu bieten, in dem es weinen und wüten
und seine Aggressionen auf harmlose Weise herauslassen kann. Gelegentlich kann es
notwendig sein, die Arme des Kindes festzuhalten, wenn es nach mir schlagen will, nach
seinem Kinn zu greifen, wenn es mich beißen will, oder mit meinen Fü.en seine Beine
nach unten zu drücken, wenn es versucht mich zu treten. Wenn ich dies in einer liebevollen
Haltung mache, ist es eine sehr nützliche und wirkungsvolle Alternative zur Bestrafung.
Ich setze dem aggressiven Verhalten Grenzen, ohne dem Kind Schaden zuzufügen. So
wird echte Heilung möglich. Ein eifersüchtiges Geschwister, zum Beispiel das andere geschlagen
oder gebissen hat, überwindet seine Angst, die Liebe der Eltern zu verlieren, am
besten, wenn es sich in ihrer sicheren Umarmung ausweinen kann. Kinder, die Gewalt
ausüben, leiden immer an schmerzlichen Gefühlen. Es ist wichtig zu wissen, dass Kinder
unsere Liebe und Aufmerksamkeit am meisten dann brauchen, wenn sie es durch ihr Verhalten
scheinbar am wenigsten verdienen.
Manchen Erwachsenen widerstrebt es, ein Kind so festzuhalten, weil sie das Gefühl haben,
das Kind zu unterdrücken, wenn sie es gegen seinen Willen halten. Aber dieselben
Eltern zögern oft nicht, ein Kind gegen seinen Willen auf sein Zimmer zu schicken („timeout“).
Das zeigt vielleicht eine kurzfristige Wirkung, das zugrundeliegende Problem wird
dadurch jedoch nur verstärkt, denn das Kind fühlt sich allein gelassen, missverstanden
und nicht geliebt. Liebevolles Halten ist empfehlenswerter als Isolation oder Entzug von
Aufmerksamkeit, denn Kinder erleben dies als Form von Strafe. Sie fühlen sich zwangsläufig,
als hätten sie etwas falsch gemacht, als wären sie „schlecht“, wenn sie weinen oder
wüten. Dieser Entzug von Liebe und Aufmerksamkeit zu einer Zeit, wo sie genau das am
meisten bräuchten, schwächt ihre Selbstachtung, denn ein Teil von ihnen – das Bedürfnis,
sich von starken Emotionen zu entlasten – wird abgelehnt. Kinder brauchen bedingungslose
Akzeptanz und nicht irgendeine Aufmerksamkeit, die davon abhängt, wie sie sich gerade
fühlen.
Wenn Lehrer und Erzieher gewalttätige Kinder halten möchten, ist es empfehlenswert, die
Eltern um Erlaubnis zu bitten, wie für jede andere Form des Disziplinierens auch. Lehrer
und Erzieher können eine entscheidende Rolle in Krisen spielen, zum Beispiel bei der
Scheidung von Eltern. Kinder weinen immer dann, wenn sie sich emotional sicher genug
fühlen. Fühlen sie sich zu Hause sicher, werden sie meistens dort weinen. Wenn sie jedoch
zu Hause für ihr Weinen bestraft oder dabei ignoriert werden oder die Eltern selbst
die Hauptursache für ihren Schmerz sind, werden Kinder versuchen, bei anderen Bezugspersonen
zu weinen. Immer wenn ein Kind bei Ihnen weint, ob sie nun Vater oder Mutter
oder ein anderer betreuender Erwachsener sind, können Sie sich geehrt fühlen, denn das
Kind hat so viel Vertrauen zu Ihnen, dass es sich in Ihrer Gegenwart von Gefühlen entlastet.
Das zeugt von Ihrer Aufmerksamkeit und liebevollen Anteilnahme.
Sehr häufig müssen Kinder weinen, bevor sie sich entspannen und einschlafen können.
Dieses Weinen am Abend ermöglicht Kindern, aufgestaute Spannungen abzubauen. Kinder,
die genügend geweint haben, schlafen schneller ein und schlafen nachts besser.
Teil IV: Praktische Anwendungen
Das Zusammenleben mit Kindern, die genug geweint haben, ist jedoch auch nicht unbedingt
einfach, denn sie sind weder passiv noch unterwürfig. Im Gegenteil, sie wissen sehr
genau was sie brauchen und können sehr beharrlich auf die Erfüllung ihrer Bedürfnisse
dringen. Darüberhinaus sind alle Kinder bis zum Alter von sieben, acht Jahren etwas egozentrisch,
weil sie die Sichtweise anderer nicht so leicht verstehen können. Emotional gesunde
Kinder sind äußerst empfindsam und haben intensive Gefühle, sowohl positive als
auch negative. Sie weinen und wüten, wenn sie es brauchen, weil sie verletzt wurden,
Angst haben, frustriert sind oder einen anstrengenden Tag hatten. Nach dem Weinen sind
sie wieder glücklich und wach.
Wie kann ich eine Umgebung emotionaler Sicherheit schaffen, damit sich Kinder von ihren
aufgestauten Gefühlen befreien?
1) Schenken Sie Ihren Kindern viel körperliche Nähe.
2) Schenken Sie Kindern regelmäßig Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit – in dieser Zeit darf
das Kind entscheiden, welche Aktivität es mit Ihnen durchführt – Kinder wissen, was sie
brauchen, um zu heilen, z. B. Versteckenspielen bei Trennungsangst.
3) Hören Sie Kindern respektvoll zu, wenn sie sprechen. Akzeptieren Sie die Gefühle ihrer
Kinder. Sagen Sie ihnen nie, sie sollten anders fühlen, als sie fühlen. Vermeiden Sie es,
gute Ratschläge zu geben.
4) Bleiben Sie dem Kind nahe und schenken Sie ihm Ihre Aufmerksamkeit, wenn es weint
oder wütet.
5) Benutzen Sie keine autoritären Methoden der Disziplinierung (keine Strafen oder Belohnungen).
6) Geben Sie Kindern korrekte Informationen über das Weinen: „Weinende Kinder sind
sehr traurig (ärgerlich, ängstlich, ….) und das Weinen oder Wüten hilft ihnen, sich besser
zu fühlen.“
7) Teilen Sie Ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse ehrlich mit. Verwenden Sie „Ich-Botschaften“:
„Es regt mich auf, …. Ich mag das nicht, wenn ….. Ich hasse Krümel im Bett!“
8) Gehen Sie verantwortungsbewusst mit Ihren eigenen starken Gefühlen um. Wenn Kinder
weinen oder wüten, werden bei den Erwachsenen oft eigene starke Gefühle ausgelöst,
deshalb ist es nicht leicht, die Empfehlungen in diesem Buch in die Tat umzusetzen.
Manche Erwachsenen empfinden tiefe Sorge, Mitgefühl oder Kummer, andere fühlen
sich ohnmächtig, schuldig oder inkompetent oder verspüren gewalttätige Impulse,
wenn sie mit einem weinenden Kind zu tun haben. Diese starken Emotionen haben ihren
Ursprung oft in der Kindheit. Die meisten Menschen wurden als Kind vom Weinen
abgehalten. Das bedeutet, die meisten Menschen tragen viele eigene unbewältigte belastende
und traumatische Erfahrungen mit sich herum. Wenn sie ein Kind weinen hören,
kann das die unbewusste Erinnerung an ihren eigenen Kindheitsschmerz auslösen.
Außerdem kann die unbewusste Erinnerung an die Reaktion der eigenen Eltern auf unser
Weinen als Kind wach werden. Wir neigen dazu, ebenso unangemessen zu reagieren,
wie wir es selbst erlebt haben. Es erfordert eine bewusste Anstrengung, es anders
zu machen. Schämen Sie sich nicht darüber, wenn Sie gelegentlich Ärger oder Groll
Ihrem Kind gegenüber verspüren oder den Drang, ihm etwas anzutun, aber versuchen
sie alles, dem nicht nachzugeben.
Die wichtigste Botschaft dieses Buches lautet, dass emotionale Probleme, Verhaltensauffälligkeiten
oder stressbedingte Krankheiten nicht durch den Stress selbst
verursacht werden, sondern durch die Unterdrückung des natürlichen Heilungsmechanismus,
vor allem des Weinens und Wütens, die dem Zweck dienen, das körperliche
und psychologische Gleichgewicht nach belastenden Ereignissen wiederherzustellen.
Selbst in der liebevollsten und positivsten Umgebung verläuft das Leben von Kindern nicht
ohne Stress. Außerdem kann es überall und jederzeit zu unerwarteten traumatischen Ereignissen
kommen. Trotz schwieriger Zeiten und schmerzlicher Erlebnisse können Kinder
sich von Stress und Traumen durch den natürlichen Genesungsprozess heilen, den Tränen
und Wutanfälle darstellen. So wird es ihnen möglich, sich zu emotional gesunden,
wachen und lernbereiten, mitfühlenden, kooperativen und nicht gewalttätigen Persönlichkeiten
zu entwickeln. Wenn wir diesem Prozess vertrauen, können Menschen jeden Alters
geheilt werden. Es ist nie zu spät, um anzufangen.
Literatur zum Thema:
Solter, Aletha: Warum Babys weinen. Die Gefühle von Kleinkindern. München: Kösel, 8.
Auflage, 1998
Solter, Aletha: Wüten, toben, traurig sein. Starke Gefühle bei Kindern. München: Kösel, 6.
Auflage, 1999
Gordon, Thomas: Familienkonferenz, München: Heyne 1989
Entspanntes Baby nach dem Weinen